Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Hersfeld Rotenburg Schwalm Eder e. V.

ADFC Schwalmstadt - Tour nach Alsfeld

ADFC Schwalmstadt - Tour nach Alsfeld © Reinhold Tripp

Sterben 'Bio-Biker' bald aus? - Ein Statement über Pedelecs

Hier das vollständige Interview mit Ulrich Wüstenhagen, Vorsitzender des ADFC-Kreisverbands Hersfeld-Rotenburg/Schwalm-Eder, zu einer HNA-Anfrage zum Thema 'Pedelec', das durch die HNA bis dato noch nicht veröffentlicht wurde.


 

HNA: Welche Altersgruppe nutzt besonders häufig E-Bikes?

U. Wüstenhagen: Während zu Beginn der Ära der Pedelecs die Nutzergruppe sich fast ausschließlich aus Senioreinnen und Senioren sowie Menschen mit körperlichen Einschränkungen zusammensetzte, hat sich das Spektrum inzwischen sehr stark verbreitert. Die Unterstützung durch Elektromotoren hat mittlerweile längst den Mountainbike-Sektor erobert und ist sogar schon in den Bereich der Gravelbikes und selbst der Rennräder vorgedrungen. Bei vielen unserer geführten ADFC-Touren stellen die „Bio-Biker“ (mit klassischen Fahrrädern) schon mal eine kleine Minderheit dar.

HNA: Auch viele Kinder und Jugendliche nutzen E-Bikes: Ist das Ihrer Meinung nach sinnvoll?

U. Wüstenhagen: Zunächst einmal ist alles sehr zu begrüßen, das dazu führt, dass Menschen, auch über das 18. Lebensjahr hinaus, zahlreiche Wege eigenständig, aktiv und nachhaltig – das heißt zu Fuß oder auf dem Rad, gerne auch kombiniert mit dem Öffentlichen Personenverkehr – zurücklegen. Wegen der technischen Komplexität sollten Kinder vermutlich mindestens 8 oder 10 Jahre alt sein, um nicht beim Fahren mit dem Pedelec überfordert zu werden. Aber auch mit Unterstützung durch den E-Motor überwiegen die positiven gesundheitlichen Effekte der aktiven Bewegung im Freien. Da sollte man nicht ideologisch, sondern pragmatisch herangehen.

HNA: Nimmt der Verkauf von E-Bikes weiter zu und wenn ja, warum?

U. Wüstenhagen: Eindeutig ja, da die Unterstützung durch den Elektroantrieb für immer mehr Menschen den „Schrecken“ beseitigt, der für sie von längeren Steigungen oder heftigem Gegenwind ausgeht.

HNA: Wie kompliziert ist die Bedienung eines E-Bikes? Sind Senioren häufiger damit überfordert?

U. Wüstenhagen: Da ich mit 66 Jahren ja selbst zu den „Senioren“ zähle (das muss ich mir immer wieder mal vor Augen führen), halte ich diese Kategorisierung für nicht zielführend. Ein Teilnehmer an meinen geführten ADFC-Touren ist übrigens schon über 90 Jahre alt, und der beherrscht sein Pedelec problemlos.

Zunächst einmal sind die meisten Pedelecs ja erheblich schwerer als klassische Fahrräder – 25 kg und weit mehr sind da keine Seltenheit. Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen können angesichts der höheren Komplexität und des hohen Gewichts der Fahrzeuge eher einmal an ihre Grenzen kommen. Das gilt aber auch – unabhängig vom Alter – für Menschen, die schon lange nicht mehr Fahrrad gefahren sind und dann gleich auf ein Pedelec mit einem drehmomentstarken Motor steigen. Hier empfehlen wir die Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining. Leider ist das Angebot in diesem Bereich bisher noch recht schmal. Mit zunehmendem Alter sind die meisten von uns nicht mehr so geschmeidig. Das führt bei Stürzen – auch ohne Beteiligung anderer Fahrzeuge – leider zu mehr Verletzungen, die dann häufig auch schwerer ausfallen als bei jungen Menschen.

HNA: Denken Sie, dass es durch E-Bikes immer häufiger zu Unfällen kommt und warum?

U. Wüstenhagen: Statistisch gesehen ist es eine Gesetzmäßigkeit, dass mit dem rasant gestiegenen Anteil der Pedelecfahrer*innen und deren höherer Fahrleistung – das heißt mehr Wege, größere Distanzen und etwas höhere Geschwindigleiten – diese Benutzergruppe verstärkt in Unfälle verwickelt ist. Um diesen Trend umzukehren, müsste die Qualität der Infrastruktur für den Rad- und Fußverkehr erheblich gesteigert werden – und mehr Fahrsicherheitstrainings angeboten werden. Ein Gutschein dafür gleich beim Kauf des hochwertigen Zweirads wäre eine ideale Zugabe.

HNA: Wir betrachten hier jetzt aber nur die sogenannten „Pedelecs“, bei denen der Elektroantrieb die menschliche Tretleistung verstärkt. Sie gelten rechtlich als „Fahrrad“, solange die Unterstützung durch den E-Motor nicht über 25 km/h hinausgeht.

ADFC Schwalmstadt Tour Teufelsberg-Goldbachtal © Reinhold Tripp

Bei den anderen „E-Bikes“ (übergeordneter Sammelbegriff) ist das nicht gegeben. Sie sind versicherungs- und – ab einer bauartbedingten Geschwindigkeit von 25 km/h –  auch führerscheinpflichtig. Bis 25 km/h gelten sie noch als „Mofa“ - dann reicht eine Mofa-Prüfbescheinigung aus. Für E-Scooter, die man ja auch ohne Treten „rein elektrisch“ fahren kann, gilt übrigens eine Höchstgeschwindiglkeit von 20 km/h (ohne Führerschein, aber immer mit kleinem Versicherungskennzeichen).

Pedelec
ADFC Schwalmstadt Tour Rhein-Lahnberge © Susanne Molis-Klippert

Bei sogenannten „S-Pedelecs“ handelt es sich um Kraftfahrzeuge mit Elektro-Hilfsantrieb, die bei kombiniertem Einsatz von Muskel- und Motorkraft eine Geschwindigkeit von bis zu 45 km/h erreichen und daher als Kleinkraftrad eingestuft werden. Hier gilt Helm-, Führerschein-, Versicherungs- und Straßenbenutzungspflicht. Zum Fahren mit E-Bikes – auch S-Pedelecs – mit einer Geschwindigkeit bis 45 km/h benötigt man mindestens einen Führerschein der Klasse AM (Kleinkraftrad). 

HNA: Wie kann man der Masse an E-Bikes langfristig gerecht werden?

U. Wüstenhagen: „Masse“ klingt für mich in diesem Kontext zu negativ. Mit dem Begriff würde ich erst einmal bei den PKWs anfangen, die ja heutzutage den mit großem Abstand meisten Platz im Straßenraum beanspruchen und durch ihren immensen Energie- und Ressourcenverbrauch unsere Zukunft stark  beeinträchtigen. Die positiven Aspekte der Pedelecs hatte ich ja schon erwähnt. Für die zunehmende Zahl an Pedelecs braucht man breitere Radwege und mehr Diebstahl verhindernde Abstellanlagen – zum Beispiel wie die kürzlich am Bahnhof Treysa eingeweihten, vorbildlichen Anlagen. Aber auch gute Anlehnbügel, an denen man sein teures Gefährt während des Einkaufs oder des Besuchs einer Behörde oder eines Dienstleisters für kürzere Zeiträume anschließen kann, fehlen vielerorts noch. Die völlig ungeeigneten „Felgenkiller“ (Klemmbügel für das Vorderrad) darf man hier nicht mitzählen. Um auch bei den Pedelecs den Ressourcenverbrauch zu minimieren, wünschte ich mir eine stetigere Modellpolitik der Hersteller – insbesondere auch bezüglich der ausufernden Vielfalt der Komponenten und deren Schnelllebigleit. Generell muss auch das Recycling der Lithium-Ionen-Akkus – gerade auch für die ca. 50- bis 100-mal so großen Batterien der E-Autos – viel stärker forciert werden.

HNA: Wird es das klassische Fahrrad Ihrer Ansicht nach bald nicht mehr geben?

U. Wüstenhagen: Eindeutig Nein! Aber dessen Anteil am Gesamtmarkt wird wohl kleiner werden. Ich schätze mal, das Verhältnis wird sich langfristig bei 1/3 („Bio-Bikes“) zu 2/3 (Pedelecs) einpendeln. Zum einen wird es – auch wegen der sich stetig öffnenden Schere zwischen Arm und Reich – immer mehr Menschen/Familien geben, die sich den Kauf und Unterhalt von Pedelecs schlichtweg nicht leisten können. Zum anderen wird es immer einen Anteil an „Puristen“ wie mich geben, die solange es geht, aus eigener Kraft unterwegs sein wollen und den Trainingseffekt des „Bio-Bike-Fahrens“ bewusst wählen.

HNA: Was sind die Vor- und Nachteile eines E-Bikes?“

U. Wüstenhagen: Dazu habe ich an verschiedenen Stellen ja schon das Meiste gesagt. Ich kann eigentlich fast nur Vorteile erkennen – und zwar umso mehr als, durch geeignete Infrastruktur und gezielte Mobilitätsbildung, gerade auch bei jungen Menschen, immer mehr Autofahrten durch Nutzung dieser genialen Hybridfahrzeuge (Pedelecs) ersetzt werden.

Ulrich Wüstenhagen, Schwalmstadt

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